Verbraucher:innen sind bei der Aufnahme von Krediten nur lückenhaft geschützt

veröffentlicht am 20.04.2022

Europäische Studie von Finance Watch zeigt zahlreiche Mängel auf

Mit der Richtlinie über Verbraucherkreditverträge wurde 2008 ein Rechtsrahmen für Verbraucherkredite und damit ein fairer, europaweit harmonisierter Zugang der europäischen Verbraucher:innen zu Krediten geschaffen. Seit dem Inkrafttreten im Jahr 2008 haben Kreditgeber jedoch die Angebotspalette erweitert und vor allem die fortschreitende Digitalisierung genutzt. Die im Juni 2021 vorgeschlagene Überarbeitung der Richtlinie soll diesen Entwicklungen Rechnung tragen.

Was läuft schief am Verbraucherkreditmarkt?

Auf der Suche nach den Hauptfaktoren, die zu unter Umständen existenzgefährdenden Aufnahmen von Verbraucherkrediten führen, hat die unabhängige NGO „Finance Watch“ zwischen Dezember 2021 und Februar 2022 ein Mystery Shopping auf dem EU-Verbraucherkreditmarkt durchgeführt und kürzlich die Ergebnisse in einer Studie veröffentlicht.

Der Fokus der Studie lag auf aktuelle Problembereiche, zu denen es noch wenig Daten gibt, wie z.B.

  • neue und riskante Kreditprodukte, die derzeit nicht vom Anwendungsbereich der Richtlinie erfasst sind,
  • Kreditkosten
  • Werbung und
  • die Bewertung der Kreditwürdigkeit.

Finance Watch untersuchte 126 Fälle aus vier verschiedenen Mitgliedstaaten (Frankreich, Italien, Dänemark und die Tschechische Republik). Die Studie umfasste die Online- und Offline-Märkte sowie Banken und Nicht-Banken als Kreditanbieter.

Am meisten betroffen sind Verbraucher:innen mit geringem Einkommen

Verbraucher:innen mit geringem Einkommen sind am stärksten von der aktuellen Lebenshaltungskostenkrise betroffen. Und so zeigt auch die Studie von Finance Watch – nicht überraschend - dass diese Verbrauchergruppe am ehesten geneigt ist, neue und nicht regulierte Kreditprodukte zu erwerben. Diese Produkte sind jedoch am risikoreichsten, da sie mit hohen Kosten verbunden sind, insbesondere im Verhältnis zu den niedrigen Einkommen der gefährdeten Verbraucher:innen.

Mangelhafte Kreditwürdigkeitsprüfung

Das wirksamste Instrument zur Vermeidung von Fehlvergaben bei Krediten sind Bonitätsprüfungen. Sorgsam durchgeführt, lässt sich damit zuverlässig prüfen, ob jemand überhaupt in der Lage ist, sich einen Kredit zu leisten. Diese Prüfungen sind jedoch nur dann wirksam, wenn die Kreditgeber eine ordnungsgemäße Bewertung des Haushaltsbudgets der Verbraucherin/des Verbrauchers vornehmen, die das Einkommen, die wesentlichen Ausgaben sowie die ausstehenden Schulden des Haushalts umfasst. Wird keine gründliche Prüfung vorgenommen, besteht die Gefahr, dass Verbraucher:innen Kredite aufnehmen, die sie sich nicht leisten können. Das kann zu einer Verschlechterung der finanziellen Lage oder sogar zur Überschuldung führen.

Gerade in diesem Bereich belegt die Finance Watch-Studie schwere Mängel: in 37 Prozent der untersuchten Fälle wurde gar keine Kreditwürdigkeitsprüfung durchgeführt, in 62 Prozent der Kreditwürdigkeitsprüfungen wurden keine Daten zum Haushaltsbudget (Höhe der Einnahmen und Ausgaben) erhoben. Dabei sind insbesondere jene Kreditprodukte betroffen, die nicht vom Anwendungsbereich der EU-Verbraucherkreditrichtlinie erfasst sind (z.B. Kredite bis zu einer Höhe von EUR 200,--, Autoleasing, kurzfristige Kredite durch Belastung der Kreditkarte). Gerade bei diesen Produkten wurde in 43 Prozent der untersuchten Angebote keine Kreditwürdigkeitsprüfung vorgenommen und die vorvertraglichen Informationen waren überwiegend unzureichend. Damit können Verbraucher:innen schwer einschätzen, worauf sie sich bei der Finanzierung einlassen.

Studie von Finance Watch (in englischer Sprache)
Zusammenfassung vzbv

Überarbeitung der Verbraucherkreditrichtlinie

Die Europäische Kommission präsentierte im Juni 2021 eine überarbeitete Fassung der Verbraucherkredit-Richtlinie, die erfreulicherweise genau diese Punkte aufgreift und bisherige Defizite korrigieren möchte.  

Erweiterung des Anwendungsbereichs

Das betrifft unter anderem Kredite, die bisher wegen ihres geringen Betrages, ihrer geringen Kosten oder der kurzen Laufzeit ausgenommen waren, einschließlich der auf Internetplattformen angebotenen Kaufpreisfinanzierungen („Buy Now Pay Later“). Nach dem Entwurf sollen die Regeln für Verbraucherkredite auch für die bisher ausgenommenen Finanzierungen von weniger als 200 € wie auch für zins- und gebührenfreie Kredite einschließlich der kurzfristigen Finanzierung über Kreditkarten gelten. Auch alle Formen von Leasing sollen umfasst sein. Das mietähnlich ausgestaltete Operating Leasing war bisher ausgenommen.

Klare Informationen und Bedenkzeit

Die Anbieter müssen ihre Vertragsinhalte und die Prozessabläufe, von den vorvertraglichen Informationspflichten über die Kreditentscheidungsprozesse bis zur Reaktion auf Widerrufe, die für die neu einbezogenen Kreditformen möglich werden, erweitern und anpassen. Zukünftig muss der Kreditgeber allgemeine Informationen über Verbraucherkredite bereitstellen und Verbraucher:innen vor Vertragsabschluss zusätzlich eine einseitige Standardübersicht der wesentlichen Vertragsinhalte zur Verfügung stellen. Außerdem muss grundsätzlich eine eintägige Bedenkzeit zwischen der Information der Verbraucher:innen und dem Vertragsabschluss liegen.

Verschärfung der Kreditwürdigkeitsprüfung

Die Regeln für die Kreditwürdigkeitsprüfung werden verschärft. Ein Verbraucherkredit darf nur gewährt werden, wenn positiv festgestellt ist, dass die/der Verbraucher:in wahrscheinlich seine Verpflichtungen erfüllen kann.

Obergrenze für die Kreditkosten

Der Richtlinienvorschlag sieht zum Schutz des Verbrauchers Obergrenzen für die Kreditkosten vor. Die Mitgliedsstaaten müssen verbindliche Obergrenzen für den Nominalzinssatz, den effektiven Jahreszins und/oder die Gesamtkosten von Verbraucherdarlehen festsetzen.

Ergebnis ist ein Zusammenspiel der Kommission, der Mitgliedstaaten und dem Europäischen Parlament

Die Studie hat die Schwachstellen der Verbraucherkreditrichtlinie aufgezeigt. Die Europäische Kommission hat einen engagierten Vorschlag zur Revision der europäischen Verbraucherkreditrichtlinie vorgelegt. Derzeit sieht es leider so aus, dass in den Verhandlungen mit den Mitgliedstaaten diese Verschärfungen wieder verwässert werden und darüber hinaus verbraucherfreundliche Entscheidungen des Europäischen Gerichtshof im Zusammenhang mit dem Rücktritt und der vorzeitigen Rückzahlung zurückgenommen werden.  Es bleibt daher abzuwarten, ob am Ende des Tages tatsächlich Verbesserungen für Verbraucher:innen übrig bleiben. Die Mitgliedstaaten haben nach Verabschiedung der neuen Richtlinie zwei Jahre Zeit für die Umsetzung in nationales Recht, das dann spätestens nach sechs weiteren Monaten Anwendung finden muss. Mit einer Änderung der Rechtslage wird man wohl erst 2024 rechnen können.

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