EuGH zum Rücktrittsrecht bei Lebensversicherungen

veröffentlicht am 01.06.2016

eine nationale Regelung nach der ein Rücktrittsrecht spätestens 1 Jahr nach Zahlung der Erstprämie erlischt, ist unionsrechtswidrig, soweit über das Rücktrittsrecht nicht belehrt worden ist.

Dem Vorabentscheidungsverfahren lag ein Rechtsstreit zwischen Herrn Walter Endress und der Allianz Lebensversicherungs AG in Deutschlad zugrunde. Dieser hatte bei besagter Versicherungsgesellschaft zum 1.12.1998 einen Rentenversicherungsvertrag abgeschlossen. Die AVB und Verbraucherinformationen wurden erst gemeinsam mit der Polizze zugestellt. Eine hinreichende Belehrung über sein generelles Rücktrittsrecht fand nicht statt.

Am 31.3.2008, also fast 10 jahre später, erklärte Herr Endress den Rücktritt vom Vertrag und forderte die Allianz Lebensversicherungs AG auf, ihm sämtliche Prämien samt Zinsen unter Abzug des bereits ausgezahlten Rückkaufswertes zurückzuzahlen.

Die Unterinstanzen wiesen die Klage von Herrn Endress ab, woraufhin dieser sich an den Bundesgerichtshof (BGH) als letzte Instanz wandte. Der BGH rief den EuGH zur Auslegung der einschlägigen Bestimmungen in der "Zweiten"- und "Dritten Richtlinie Lebensversicherung" an.

Feststellungen des EuGH

Zusammengefasst kommt der EuGH in seinem Urteil zu folgenden Ergebnissen:

  • Zweck der Zweiten und Dritten Richtlinie Lebensversicherung ist ua. die Sicherstellung der Belehrung des Versicherungsnehmers (VN) über sein Rücktrittsrecht bei Vertragsabschluss.
  • Eine nationale Bestimmung, wonach dieses Recht zu einem Zeitpunkt erlischt, zu dem der VN über dieses Recht nicht belehrt war, läuft der erwähnten Zwecksetzung zuwider.
  • Verbraucher haben im Falle von rechtlich komplexen Finanzprodukten, wie insb. Lebensversicherungen, als schwächerer Vertragspartner häufig keine Möglichkeit, Qualität und Preis eines Versicherungsanbots zu vergleichen und benötigten ein Rücktrittsrecht um die Verpflichtungen aus dem Vertrag nochmals überdenken zu können.

Die seitens der Allianz Lebensversicherungs AG aufgrund der schwerwiegenden wirtschaftlichen Tragweite des Urteils beantragte Begrenzung der zeitlichen Wirkungen des Urteils wurde vom Gerichtshof abgelehnt (bis zu 108 Mio. Verträge seien betroffen; Prämienvolumen EUR 400 Mrd.).

Was bedeutet das für österreichische VersicherungsnehmerInnen?

Auch einschlägige Bestimmungen im österreichischen Versicherungsrecht, die bis 1.7.2012 in Geltung standen, sind jedenfalls unionsrechtswidrig.

Wurde eine Lebens- oder Rentenversicherung abgeschlossen ohne dabei ordnungsgemäß über das Rücktrittsrecht belehrt worden zu sein, so steht den Verbraucherinnen auch jetzt noch das Rücktrittsrecht unbefristet zu.

Betroffene KonsumentInnen können daher vom Vertrag zurücktreten. Welche Rückforderungsansprüche, z.B. sämtliche bisher bezahlte Prämien oder nur der Sparanteil, daraus den Konsumentinnen erwachsen, muss erst geklärt werden.

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