Wegfall der Geschäftsgrundlage – eine Frage des Einzelfalls

veröffentlicht am 19.02.2021

Gesetzliche Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie erschweren die Erfüllung von Verträgen, die in der Zeit vor der Ausbreitung des Corona-Virus abgeschlossen wurden. So können derzeit Reisen ins Ausland nicht durchgeführt werden, Veranstaltungen müssen abgesagt werden. Was passiert mit nicht erfüllbaren Verträgen? Wer trägt das Risiko bereits geleisteter An- und Vorauszahlungen?

Kann ein Vertrag nicht erfüllt werden, stellt sich in einem ersten Schritt die Frage, wer für die Nichterfüllung verantwortlich ist. Schwieriger wird es dann, wenn die Verantwortung eigentlich keine Vertragspartei trifft, wie z.B. bei Ausbruch einer Pandemie.

Frau steht vor Anzeigetafel am Flughafen, © Photo by Jan Vašek on Pixabay

In bestimmten Fällen kann mit dem sogenannten „Wegfall der Geschäftsgrundlage“ argumentiert werden. Der Oberste Gerichtshof (OGH) ist bei der Beurteilung, ob ein Fall des Wegfalls der Geschäftsgrundlage vorliegt, sehr streng. Bisher dienten vor allem Kriegsausbrüche und Naturkatastrophen in Reiseländer als Musterbeispiele für einen Wegfall der Geschäftsgrundlage.


Was versteht man unter Wegfall der Geschäftsgrundlage?

Unter Geschäftsgrundlage sind Umstände zu verstehen, die die Parteien bei Vertragsabschluss zwar nicht ausdrücklich regeln, die aber für ein Geschäft typisch sind und von denen die Vertragspartner bei Abschluss des Geschäftes grundsätzlich einmal ausgehen. So gehen beispielsweise bei einer geplanten Flugreise beide Vertragspartner davon aus, dass es grundsätzlich möglich ist, den Urlaubsort mit dem Flugzeug zu erreichen.

Ein Ereignis höherer Gewalt kann zu einem Wegfall der Geschäftsgrundlage führen, wenn durch eine plötzliche und unvorhersehbare Änderung der bei Vertragsabschluss von den Parteien gewöhnlich vorausgesetzten Umstände das Festhalten am Vertrag für eine Partei unzumutbar wird.

Welche Rechtsfolgen hat der Wegfall der Geschäftsgrundlage?

Der Wegfall der Geschäftsgrundlage führt in erster Linie zur Anpassung und erst, wenn diese nicht möglich ist, zur Aufhebung des Vertrages. Soweit also eine Vertragsanpassung noch möglich ist, hat die Anpassung gegenüber einer gänzlichen Vertragsaufhebung Vorrang.

Achtung: der Wegfall der Geschäftsgrundlage führt aber nicht sofort zur Unwirksamkeit, sondern nur zur Anfechtbarkeit des Vertrags. Das bedeutet, dass gerichtliche Schritte gesetzt werden müssen, sofern man keine Einigung erzielen kann. Beim Wegfall der Geschäftsgrundlage kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an. Es empfiehlt sich daher jedenfalls vorher eine Rechtsmeinung einzuholen.

Wegfall der Geschäftsgrundlage und Corona

Im Jahr 2005 hat der OGH in einer Entscheidung den Virus SARS als höhere Gewalt eingestuft. Es ist also davon auszugehen, dass auch das Virus COVID-19 und die daraus entstandene Pandemie grundsätzlich als höhere Gewalt eingestuft werden könnte. Allerdings ist entscheidend, wann der Vertrag abgeschlossen wurde. Wenn zu diesem Zeitpunkt die Pandemie bzw. deren Auswirkungen bereits vorhersehbar waren, wird dies nicht zum Wegfall der Geschäftsgrundlage führen und z.B. die Absage einer Veranstaltung nicht dem Unternehmen angelastet werden können.  In folgenden zwei Fällen konnte der VKI erfolgreich mit dem Argument des Wegfalls der Geschäftsgrundlage durchdringen.

Fall 1: Stornierung einer Limousinenfahrt

Der VKI unterstützte erfolgreich eine Konsumentin bei der Abwehr einer Klage eines Limousinenvermieters. Die Konsumentin hatte für ihren Sohn zum 18. Geburtstag eine Fahrt mit einer Hummer-Stretch-Limousine gebucht. Bei Vertragsabschluss Anfang Februar 2020 gingen beide Parteien davon aus, dass das Mitfahren in einer Hummer-Limousine mit bis zu 16 Personen keine Gesundheitsgefährdung darstellt. Die Fahrt in der gebuchten Limousine war für 14.03.2020 vorgesehen. Zu diesem Zeitpunkt hätte aber die Fahrt ein unzumutbares Gesundheitsrisiko beinhaltet. Das BG Innere Stadt folgte der Rechtsansicht des VKI und argumentierte mit dem Wegfall der Geschäftsgrundlage. Die Konsumentin muss keine Stornogebühren bezahlen.

Fall 2: Stornierung einer Flugreise

Ebenfalls ein erfolgreicher Fall, bei dem der VKI mit dem Wegfall der Geschäftsgrundlage argumentiert hatte, war die Stornierung der Flüge zweier Konsumenten. Die Konsumenten hatten ihre Flüge 2019 bei der Austrian Airlines AG (AUA) gebucht. Die Flugreise war für Ende August 2020 vorgesehen. Aus Sicht des VKI lag ein „Wegfall der Geschäftsgrundlage“ vor: Die durch die Pandemie bedingten Reiseeinschränkungen waren zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nicht vorhersehbar, eine Reise zum geplanten Termin unzumutbar. Der VKI klagte im Auftrag des Sozialministeriums für die Konsumenten auf Rückzahlung des Flugpreises. Die AUA erhob keinen Einspruch gegen die Klage und zahlte die gesamte Summe an die Konsumenten.

Achtung: Unvorhersehbarkeit ist entscheidend

Um sich erfolgreich auf den sogenannten Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen zu können, muss die Änderung der Umstände im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses unvorhersehbar gewesen sein.

Das bedeutet, dass sich Verbraucher/innen nicht mehr auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen können, wenn Verbraucher/innen jetzt in Kenntnis einer grassierenden Pandemie eine Reise, einen Flug oder ein Konzertticket für die nächsten Monate buchen oder kaufen.

 

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